Anregender Geschichtsexkurs
Politisch Lied ein garstig Lied? Wer sich das Vergnügen gönnt und Reinhold Andert in seinen Konzerten besucht, wird sich dieser Meinung kaum anschließen. Am Freitag war Gelegenheit, ihn mit seinem neuen Programm „Fürsten in Lumpen und Loden“ zu erleben. Das ist ein kurzweiliger, anregender Ausflug in die deutsche Geschichte mit einer Rückfahrkarte in die Gegenwart. Man weiß, vor 89 zog sich der Liedermacher den Zorn der Mächtigen zu, weil er nicht bereit war, sich in das Schwarzweiß-Raster ihrer Weltsicht einpassen zu lassen. Und auch heute vermeidet er vereinfachende Polarisierung von Schwarz und Rot. Er ist keiner von den selbstgerechten Politbarden, die ihre Einsichten für die einzig richtigen halten.
Andert läßt seinen Zuhörern die Chance, mit eigenen Gedanken zwischen die seinen zu kommen. Er liefert Skizzen, die vom Zuhörer erst komplettiert werden müssen. Das macht den Reiz auch des neuen Programms aus, in dem das gesprochene Wort über das gesungene dominiert. Es ist ein Programm der überwiegend leisen Töne. Trotzdem vermag es jenen viel Ermutigung zu geben, die ihre Gesinnung nicht gegen die wohlfeilen „Segnungen“ der Marktwirtschaft einzutauschen bereit sind.
Erstaunlich, wie es Reinhold Andert versteht, Parallelen in deutscher Geschichte zur Gegenwart zu ziehen. Sicher, darunter ist auch manch eigenwilliger und wohl auch gewagter Vergleich. Seine eigene, oft widersprüchliche Biographie setzt er in geschichtlichen Bezug. Wenn er über seine Zeit als Ministrant und Thälmannpionier plaudert oder über seine wundersame Bekehrung vom angehenden Priesterseminaristen zum Geschichts- und Philosophiestudenten, geschieht das mit einem Schuß Selbstironie, überlegenem Humor: seine Art, lähmendem Kleinmut zu begegnen.
Solch einen vergnüglichen Geschichtsexkurs habe ich selten erlebt. Hintergründiger Witz in „Lied vom Pausenclown“, im“Trabi-Lied“. Berührendes im „Lied für Lin“, einem Lied für Ernst Busch…
Günter Görtz